Reflektionen.

„Um Missverständnisse zu vermeiden“ - oder,  „vier bittere Pillen“

Niemand kann die Frage gültig beantworten – was denn wirklich Kunst sei?
Hier ist ebenso wenig eine Einigkeit zu erzielen, wie bei der Frage nach der Schönheit: Was ist schön? Was ist hässlich? Das ist Ansichtssache – und auch gut so – und von Mensch zu Mensch anders und subjektiv geprägt. Doch mit Kritik muss man jede Ablehnung aus Ahnungslosigkeit begegnen! Denn wer würde schon eine Sprache ablehnen nur weil sie ihm unverständlich ist? Doch das Gleiche gilt auch in der Kunst: Denn wer sich niemals um „die Sprache der Kunst“ bemühte, wird in der Kunst  immer auch ein „Bild-Analphabet“ bleiben…Das war die erste „Pille“.

Die „Pille 2“ soll gegen die törichte Meinung helfen, dass es so etwas wie ein „natürlich, angeborenes Kunstverständnis“ gäbe, ein KUNST-EMPFINDEN das ohne Wissen oder Mühsal den Ahnungslosen erleuchtet. Das gab es noch nie! Ist doch alles was die Kultur des Menschen ausmacht, nur aus Lehre, Lernen und Überlieferung entstanden: Kunst und Kultur sind Gegensätze! Zwar braucht der Mensch die Kultur zum Überleben, aber die Natur braucht nichts weniger…

Die „Pille 3“ muss sehr hoch dosiert werden, um einige besonders hartnäckige Klischees aus der Kunstwelt zu schaffen: Das erste ist die unkorrekte „Van-Gogh-Legende“- deren Kernsatz lautet: Ein „wahrer Maler“ hat arm zu sein! Seinen Lohn empfängt er in der jenseitigen Welt des „Nachruhmes“… (Auch wenn dies mit dem Nachruhm ausnahmsweise bei van Gogh zutrifft, so ist dies ein dummes Beispiel, da dem Ruhm auf Erden  der Große Maler durch seinen Selbstmord vorauseilte und natürlich so keine Anerkennung zu Lebzeiten erfahren konnte!) Zudem stimmt nichts weniger als die Verschwägerung von Kunst und Armut! Das Gegenteil ist belegbar: REICHTUM befördert die Kunst! Beispiele: Dome, Kirchen, Kunstorte wie Venedig, Florenz, Prag, Rom, Paris, München - oder Bamberg. Nur als Auswahl: Dürer, Raffael, Michelangelo, Tizian, El Greco, Tiepolo, Monet, Dali, Picasso alles sehr hoch bezahlte Künstler.

Die letzte, „4. Pille“ sei dem Geschwätz vom „jeder ist ein Künstler“ gewidmet. Als ob nicht in der Kunst so lange gelernt und gearbeitet werden muss, wie in jeder anderen Tätigkeit! Anders herum, ein wirklicher Meister arbeitet lebenslang und besessen an seinem Beruf, der für ihn kein Hobby sondern Berufung ist! Ein Hobby-Geiger im Staatsorchester? Nein, gibt es nicht! Und in der Kunst?

„In eigener Sache“



Im Gegenwärtigen scheint auch immer das Vergangene durch. Nicht nur in der Geschichte, sondern auch in der jeweiligen Lebensgeschichte ist das Frühere präsent, wenn auch nicht immer „aufgehoben“, so kommt es, wie in alten Palimpsesten – zum Vorschein.

Meine künstlerische Ausbildung erfolgte an der Werkkunstschule Wiesbaden, an der ich 1952 begann - damals knapp 16 Jahr alt – und bis 1957 studierte. Voller, naiver Begeisterung bewunderte ich alles in der Kunst, ob alte Meister oder die lokalen Maler, die mit „paar Strichen“ die Welt aufs Papier bannten: Etwas ganz naturgetreu abbilden – das war in meiner frühen Jugend für mich die Kunst! Die große Mehrheit verbindet auch heute noch die kopierende Aneignung der Welt als die einzig „wahre“ Kunst:  Dabei sind wichtige nicht naturalistische Stile der modernen Malerei schon recht alt: Impressionismus 130 Jahre, Expressionismus fast 70 Jahre und die abstrakte Kunst ungefähr 100 Jahre alt. Später dann, als ich diese Fertigkeiten des Abzeichnens und (Abmalens) selbst beherrschte, schien mir diese „Nachäfferei der Natur“ (Hegel) schal wie sinnlose „Fingerübungen“… Aber unbehelligt von derartigen Zweifeln blieb mir immer die große alte Kunst, gespeist aus Antike und Christentum und uns bis heute prägend. Doch dieser Epoche ist längst vorbei und die heutige Zeit erfordert andere, zeitgemäße Antworten.

Jetzt habe ich schon den zentralen Punkt meiner Existenz erwähnt – die Liebe zur alten Kunst. Doch ein anderer Faktor dürfte mich entscheidender mitgeprägt haben – das waren die angstbesetzten Erfahrungen von Krieg, Flucht und der Not der Nachkriegszeit. In der Zeit meines Studiums war eine Konfrontation der zwei Weltblöcke real möglich. Dieser Situation entsprach die Philosophie des Existenzialismus ebenso wie die damaligen Utopien von einer neuen und besseren Zeit. Die Kunst der Avantgarde neu, kühn und umstritten, war angesiedelt zwischen Nach- Expressionismus und den Aufbrüchen im „Tachismus“ und “Informell“. Dies war die bisher letzte, heftig befeindete Kunstrevolution. Inzwischen ist Ratlosigkeit eingekehrt, alles ist möglich, alles kann „happy“ sein, alles wird  auch hingenommen – über die Kunst, nein, drüber streitet man längst nicht mehr! Das ist aber kein gutes Zeichen eines friedvollen Zustandes, sondern ein Zeichen von Langeweile und Erstarrung…

Dies als Hintergrund meiner Anfänge. Dann eine lange Zeit des Suchens, der Zweifel und Komplexe: Um die Bilder , die mein inneres Auge sah, sichtbar zu machen, aufs Papier oder auf die Leinwand zu bannen.

Meine erste Ausstellung hatte ich 1962, da war ich 26 Jahre alt. Später dann eine lähmende Schaffenskrise – 13 Jahre lang dauerte die qualvolle, bilderlose Zeit. Die erste wichtige Ausstellung dann erst 1985 in der Hochschule für Gestaltung in Offenbach, großer Wirbel, Fernsehen, Presse. Danach häuften sich die Erfolge: u.a. – 1991 im Auswärtigen Amt, Bonn, - 1993 Gast der Deutschen Botschaft, Rabat und des Goethe-Institutes  in Casablanca – 1994 Friedrich-Ebert-Stiftung, Bergneustadt.

Meine bisher größte Ausstellung war die Ausstellung „Ambivalente Farbräume“ im Maximilianpark Hamm im Jahre 2000 (auf fast 1500qm Fläche eines denkmalgeschützten ehemaligen Zechen-Raumes. Dort entstand auch mein (bisher) monumentalstes Bild von 7x32m Größe: Ich bezeichne diese Hauptwerk als „orgiastische Farbsinfonie (in 5 Teilen) und nicht unähnlich den musikalischen Strukturen… Die Parallelen zwischen Musik- Klängen und Farbklängen faszinierten mich schon immer…

Abschließend seien noch die Punkte skizziert, die mein Leben und Werk seit Jahren prägen – oft hindern, oft aber auch fördernd und ebenfalls ambivalent – bestimmen. Einleitend mögen folgende Schlagworte die schwierige Lage aller heute tätigen Künstler verdeutlichen: Im Spannungsfeld zwischen utopischem Überbau, gefährdetem Selbstbild, Sendungs-bewusstsein, Eitelkeit, wirtschaftlichen Schwierigkeiten, Isolierung und Missverständnissen und Spott, Presse, Fernsehen, Ruhm, Erfolge? Oder etwas vom Narrenstatus? Die Künstler als Hofnarren der Zeit? Oder doch und auch des Künstlers Ausnahmestatus, die Privilegierten, die Künstler als Künder neuer Welten? Als Genie vielleicht? Heraustreten aus der Anonymität, sich bewundern lassen z.B. in Diskussionen, Interviews, Fernsehen, Ausstellungen – und danach? Danach – die Abstürze, die Leere – so im stetigen Kampf, mal verloren, mal als Sieger.

Wahrlich – wer dies über Jahre übersteht, darin lebt und arbeitet, zwischen solchen extremen Pendelschwüngen nicht aufgibt muss ein „Besessener“ sein. Der Volksmund sagt dazu drastischer: Es sind „Verrückte“. Andere sagen „wie Kinder“ oder weisen auf den Ausnahme-Charakter dieser Spezies hin – die alles, buchstäblich alles im Leben den „Kunstdämonen“ aufopfern: IHR LEBEN ist IHR WERK! Und nichts ist wichtiger für sie, als diese so quälenden wie lustvollen Zwänge zu verwirklichen, in Bildern zur Welt zu bringen.

Natürlich wäre das die nahe liegende Frage: „Und warum bürden Sie sich solche Schwierigkeiten auf?“ Wer mit Kunst und Künstlern Umgang hat, wird niemals diese Frage stellen! Denn die Antwort wird immer lauten: „Weil ICH das machen muss!“ Oder, ähnliches. Der Zwangs-Charakter der von Kunst besessenen, dieses niemals „aufhören können“, die Uferlosigkeit und beispielsweise, die Rücksichtslosigkeiten sich selbst gegenüber, sind typische Merkmale aber nur für die, die ich als die wirklichen Künstler ansehe! Doch mit diesen exzessiven Anlagen sind allerdings auch die Schwierigkeiten und Verwerfungen zwischen der Welt der Künstler, den Normen der Gesellschaft und den Erwartungen des Publikums vorgezeichnet. Der Traum der Schaffenden – die eine neue Welt erschaffen und die Verzweiflung liegen eng beieinander.

Nicht ohne Spott und Selbstironie – die früheren Herren (ob jene der Kirche oder Fürsten) verstanden sich mit den Künstlern in der Regel sehr gut: Beide Gruppen waren Außenseiter und von autoritärem Charakter. Aber die heutige Bürgergesellschaft und die Künstler? Hier kommt es leicht zu Unverständnis und Kommunikationsproblemen.

Und nun zu den Punkten die mein Leben so fördernd bestimmen – dies sind zum einen die treuen, langjährigen oder auch neuen engagierten, kunstbegeisterten Sammler und kunstmäzenatischen Förderer, ein Galeristenpaar in H., das mein größtes Werk zur Landesgartenschau 2002 empfahl, einige Freunde, Kunstfreunde mit Auftragsarbeiten… Ebenso die Stadt Bad Orb mit dem „kleinsten Haus“ einem zauberhaften renoviertem Fachwerkhaus, in dem ich seit 1998 wohne…Und als großen Glücksfall empfinde ich auch die Förderung durch die Leitung der medinet Spessart-Klinik in Bad Orb! Der Arbeitsraum eines Künstlers ist immer sein wichtigster Ort! Und hierin bin ich in besonderer Weise privilegiert  durch die Überlassung einer ganzen Etage eines ehemaligen Reha-Gebäudes als Atelier. Hier ist der Ort sich für die vielfältigen, großherzigen Hilfen zu bedanken! Denn auch diese Ausstellung wäre ohne die Unterstützung von Helfern und Freunden nicht zustande gekommen.

Ich danke allen, die mir hier und bis hierher geholfen haben!
                                
Helmut Jahn


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